Predigt zum Nikolaustag

Predigt von Pfarrerin Sabine Krischer
am Nikolaustag, 6. Dezember 2020
zu Jesaja 61,1-2.10

„Der Geist Gottes des Herrn ist auf mir, weil der Herr mich gesalbt hat. Er hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu bringen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit, den Gebundenen, dass sie frei und ledig sein sollen; zu verkündigen ein gnädiges Jahr des Herrn und einen Tag der Rache unsres Gottes, zu trösten alle Trauernden, Ich freue mich im Herrn, und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott; denn er hat mir die Kleider des Heils angezogen und mich mit dem Mantel der Gerechtigkeit gekleidet, wie einen Bräutigam mit priesterlichem Kopfschmuck geziert und wie eine Braut, die in ihrem Geschmeide prangt.“

Es sind beeindruckende Worte, die wir in der Lesung gehört haben: „Der Geist Gottes des Herrn ist auf mir, weil der Herr mich gesalbt hat. Er hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu bringen.”
Bin ich damit gemeint?

Klar, dass der Prophet Jesaja gemeint war. Es sind seine Worte. Und Jesaja hat den Juden im babylonischen Exil die gute Botschaft zugesprochen. Wir können dies ausführlich in der Bibel nachlesen.

Am heutigen Gedenktag höre ich auch, wie Bischof Nikolaus diese Worte spricht. Und ich denke daran, wie er sie umgesetzt hat, als er den Armen nicht nur die gute Botschaft in Worten zugesprochen hat, sondern ihnen auch Nahrung gebracht hat und so die gute Botschaft für die Armen spürbar wurde.

Und ich? Gelten diese Worte mir als Pfarrerin, dass ich Ihnen als Gemeinde die frohe Botschaft verkündigen soll. Oder gelten diese Worte gar uns allen Christen, dass es unsere Aufgabe ist, auf die Straßen hinauszugehen und allen Menschen, denen wir begegnen, die freudige Nachricht mitzuteilen? Und von welcher frohen Botschaft ist heute die Rede?

Zerbrochene Herzen werden verbunden; Gefangene werden frei; ein gnädiges Jahr kommt und ein Tag der Rache bzw. Vergeltung, an dem die Trauernden getröstet werden.

Fast ein Jahr liegt hinter uns, das geprägt war von Sorgen, Gedanken und Entscheidungen rund um Corona. Höre ich auf diesem Hintergrund die Worte des Propheten Jesaja, so sehe ich mich vor einer übergroßen Herausforderung. Was für eine gute Botschaft soll ich sagen? Etwa diese: Ihr seid frei von Corona. Ein gnädiges Jahr beginnt jetzt.

Gerne würde ich die Botschaft so einfach sagen, aber es geht nicht; die Enttäuschung würde zu groß sein. Und trotzdem, auch jetzt, wenn in den Medien nur von immensen Zahlen von Positiv-Getesteten gesprochen wird und wenn manche Stimmen uns drohen, dass die Krankenhäuser bald überfüllt sein werden, auch jetzt und gerade jetzt, gilt der Auftrag an uns alle, die gute Botschaft zu verkündigen. In diesem Zusammenhang heißt die gute Botschaft: Was wir zur Zeit erleben wird irgendwann vorbei sein, wobei ich den Zeitpunkt offen halte.

Kleine Anmerkung: Ich weiß auch nicht, ob Jesaja diese Trostworte in den letzten Monaten des babylonischen Exils gesprochen hat oder ob es doch ein paar Jahre vergangen sind zwischen seiner tröstenden Weissagung und dem Ende des erzwungenen Exils.

Es wird eines Tages die Zeit vorbei sein, in der wir uns vor Corona fürchten und es wird die Zeit vorbei sein, in der die Schäden durch den Virus und die Schäden durch alle gutgemeinten Virusbekämpfungsmaßnahmen eine Rolle spielen. Eines Tages wird der Tag des Heils und das Jahr der Gnade spürbar sein.

Spannend finde ich in den Worten von Jesaja die Ankündigung des Tags der Rache bzw. der Vergeltung, an dem alle Trauernden getröstet werden. Ich habe mir in der Vorbereitung die Mühe gemacht, im Wörterbuch nachzuschauen. Es heißt bei Jesaja wirklich Rache mit dem Bedeutungsspektrum wie es dem deutschen Wort Rache entspricht. Die Worte Jesajas waren ja zunächst an die Juden gerichtet, die in Babylon das Exil erlebt haben und in Jerusalem die Fremdherrschaft durch ein mächtiges Reich.

Sie erlebten eine Einschränkung im Recht der freien Religionsausübung und auch sonst waren sie von verschiedenen Einschränkungen betroffen. Ich kann mir gut vorstellen, dass der eine wütend war, dass er seinen Beruf nicht nach seinen Vorstellungen ausüben konnte, während der andere sich darüber ärgerte, dass er seine Meinung über den herrschenden König nicht äußern durfte.

An diese Ohren drangen die Worte: "der Tag der Rache unseres Gottes wird kommen.”
Die erste Vorstellung, die ich bei dem Wort Rache habe, ist die, dass derjenige, der zuerst das Leid ausgeteilt hat, selbst zum Leidenden wird.

“Am Tag der Rache wird der Bösewicht endlich einmal fühlen, was ich leidender Mensch die ganze Zeit erlebt habe.”
So oder so ähnlich denken wohl die meisten, wenn sie das Wort Rache hören. Aber dann setzt Jesaja einen Nachsatz an: Der Tag der Rache ist dazu da, dass alle Trauernden getröstet werden.
Alle wütenden Gedanken, was den ehemaligen Bösewichten alles passieren soll, wie sie auch mal leiden sollen, sind hinfällig. Denn all dies soll am Tag der Rache nicht geschehen.
Statt dessen soll am Tag der Rache Trost geschehen.

Was geschah damals den Juden im babylonischen Exil? Sie erlebten, wie die Herrschaft der Babylonier zerbrach und durch die Herrschaft der Perser ersetzt wurden.
Inwieweit die Juden miterlebten, dass die Babylonier Gewalt erfuhren und Rechte verloren hatten, ist für Jesaja irrelevant. Relevant ist die Tatsache, dass die Juden wieder ein Recht auf freie Religionsausübung bekommen haben.
Wichtig ist nach Jesaja nicht, dass Übeltäter bestraft werden, sondern wichtig ist, dass Geschädigte Heil erfahren.

Wieder versuche ich die Botschaft auf unsere Zeit zu übertragen, darauf, dass es unsere Aufgabe als Christen ist, die gute Botschaft zu verkündigen. Wir erleben Leid in dieser Zeit im Zusammenhang mit Corona. Ich will dabei nicht über das Leid durch die Krankheit selber reden. Dann komme ich an den Punkt, dass ich mit Gott, unserem Schöpfer hadere.

Denn Gott selber hat die Welt so geschaffen, dass in ihr große Tiere und Menschen und gleichzeitig Kleinstlebewesen und auch Viren existieren, die sich alle den Lebensraum teilen, teilweise miteinander, teilweise nebeneinander und teilweise gegeneinander. Da ich aber grundsätzlich davon überzeugt bin, in der besten aller möglichen Welten zu leben und dass die Schöpfung prinzipiell gut ist mit allen Lebensformen, die sie beherbergt, akzeptiere ich die Schöpfung Gottes, auch mit ihren Schattenseiten.

Abgesehen davon fehlt mir virologisches und epidemiologisches Wissen, um qualifiziert die Lage zu beurteilen. Und die Fachleute, denen ich gerne glauben möchte, werden offiziell überhört. Wovon ich etwas verstehe, sind die Entscheidungen von Menschen und was diese Entscheidungen bei anderen Menschen bewirken. Kurz: ich werfe einen Blick auf ein paar Lockdown-Maßnahmen. Sicherlich sind alle Maßnahmen gut gemeint. Aber für viele Menschen sind die Entscheidungen bitter. Ich denke da an die Menschen, die arbeitslos geworden sind oder die kurz vor der Insolvenz stehen, wenn sie nicht schon Insolvenz angemeldet haben. Jahrelang übten sie in Gastronomie, Unterhaltung, gesundheitsfördernden Sport oder sonstwo einen angesehenen Beruf aus und nun sind sie unverschuldet von Armut betroffen.

Ich weiß nicht, wie in den Ohren dieser Menschen die Botschaft klingt: “Es kommt der Tag der Rache, an dem alle Trauernden getröstet werden.” Ich sehe es als Aufgabe von uns allen Christen, den Betroffenen zu verkündigen, dass der Tag kommt. Aber es ist ganz wichtig, dass wir in unserer Verkündigung den Zusatz dazusagen. “Es kommt der Tag, an dem du Trost empfangen wirst.” Freilich können wir weder einen Termin für diesen Trost benennen noch können wir sagen, wie dieser Trost aussehen wird. Ich kann keinem Gastronom und keinem Unterhaltungskünstler sagen “für dich lohnt es sich durchzuhalten, die Möglichkeit, deinen Beruf auszuüben, kommt wieder.”

Leere Versprechen sind kein Trost. Betroffene Menschen müssen heute eine Entscheidung fällen, unabhängig davon, dass eines Tages das Heil kommen wird. Dass aber der Tag kommen wird, an dem das, was wir heute erleben, ein Ende hat, davon bin ich überzeugt. Und wie das mit der Zukunft so ist, es wird in einer Art und Weise geschehen wie wir es uns heute nicht vorstellen können.

Wichtig dabei ist, es wird nicht darauf ankommen, dass der Tag der Rache den Verursachern gilt, sondern es wird darauf ankommen, dass die Leidenden Trost erfahren. Wir alle haben den Geist Gottes und deshalb können wir gerade heute denen, die beruflich nicht wissen, wie es weitergeht, zusprechen, dass es eines Tages wieder anders sein wird. Wir werden wieder einen Tag der Gnade und ein Jahr des Heils erleben.

Wir sollen aber nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten die gute Botschaft verkündigen. So wie vor vielen Jahrhunderten Bischof Nikolaus ein paar Lebensmittel den armen Kindern zugesteckt hat, so sollen auch wir den Bedürftigen etwas zukommen lassen. Vor Ihnen am Platz finden Sie Nikolaustütchen. Aber anders als Sie es vielleicht in Ihrer Kindheit erlebt haben, sind die Tüten leer. Es sind Tüten für Spenden für Brot für die Welt. Sie dürfen heute wie Bischof Nikolaus die Tüten füllen, damit die Bedürftigen in anderen Teilen der Welt sich freuen können über die Gabe, die darinnen steckt.

Genau wie wir sollen auch diese Menschen spüren, dass ihnen die gute Botschaft Gottes gilt. Es wird der Tag kommen, an dem alle Trauernden getröstet werden. Amen.